Vom kaputten Krug
Dir steht Erwartung im Gesichte
deshalb kommt jetzt die Geschichte,
die mir ein Freund geschrieben hat,
den ich schon ewig lieb gehabt.
Er las sie einst
und dachte sich
Er liest über
sich und mich
und teilte sie
diese Geschicht‘
mit einem Lächeln
im Gesicht.
Es war einmal vor langer Zeit,
eine Dame, weit ihr Kleid,
nach jedem Morgensonne-Kuss,
trug sie einen Krug zum Fluss.
Doch war der eine nicht alleine.
Auf ihren schon sehr alten Beinen
trug sie noch einen schweren Krug,
denn einer, der war nicht genug.
Nun trug sie also diese beiden,
sie mochte beide gerne leiden
und holte jeden Tag ihr Wasser,
doch nach dem Lauf war sie stets nasser.
Denn der eine schwere Krug,
er hatte einen schweren Sprung,
Du fragst Dich jetzt bestimmt warum?
Ich mach’ Dich klug! Es lag am Schwung.
Eines Morgens war die Dame
in heller Freude aufgestanden
auf dem Weg schon die Girlanden
und am Haus hing eine Fahne
Denn es war ihr Hochzeitstag,
an dem ihr wirklich sehr viel lag
und sie war voller Übermut
nur für den Krug war das nicht gut.
Ihr fehlte kurz die Achtsamkeit
für sie war’s eine Kleinigkeit,
doch der eine gute Krug,
der ist an dem Tag zerbrochen
sie hat nie davon gesprochen.
Vielleicht war es ihr egal
oder sie hatte keine Wahl
auf jeden Fall trug sie die beiden
immer weiter,
zu dem Fluss,
unter den Weiden
und holte weiter jeden Tag,
das Wasser,
täglich diese gleiche Tat.
Wenn sie dann nach Hause kam,
sah sie täglich, ohne Gram,
dass der einst verletzte Krug,
nicht alles bis nach Hause trug.
Statt zwei bis oben volle Krüge,
brachte sie den einen voll
und den and‘ren halb nach Haus
doch war das keineswegs ein Graus.
Ihr Mann, der war schon alt und starr,
er sah nur: Gefahr! Gefahr!
„Jeden Tag musst Du Dich hetzen,
Du könntest Dich auch noch verletzen,
komm lass ihn uns ganz schnell ersetzen!“
„Mein lieber Mann“, so sagte sie,
„Ich zeig Dir was, was Du nicht siehst,
Du wirst verstehen, was ich ihn lieb‘“
Und sie nahm ihn an der Hand,
er war schon richtig gespannt
sie führte ihn so vor sich her,
durch ein buntes Blumen-Meer.
„Siehst Du jetzt, mein lieber Mann,
was der kaputte alles kann?
Jeden Tag hat er gegossen!
Und ich hab jeden Tag genossen.“
Und da kamen dem alten Paar
Tränen in die Aug‘ geschossen.
Sie pflückten einen großen Strauß
und liefen Hand in Hand nach Haus.
Jetzt ist die Geschichte aus.
Und was sagt uns die Geschicht‘?
Was ist nun ihr tiefer Sinn?
Und wo ist die floral-Moral?
Ein Krug, ein Baum,
ein Kind, ein Mensch,
wer täglich mit dem Leben kämpft,
kann manchmal schwer verwundet sein,
doch bricht das nicht den hellen Schein,
den sie alle in sich tragen.
Manche tragen schwere Narben,
doch lohnt es nicht jetzt zu verzagen,
Dir muss ich das bestimmt nicht sagen.
Denn all die Ach-so-schlimmen Narben,
die bringen auch die bunten Farben.
Und wenn Du keine Farben siehst,
weil Du Mauern um Dich ziehst,
dann gib Dir einen kleinen Schwung
Hab keine Angst vor dem Sprung
und lauf aus Deinem Haus hinaus.
Das Leben ist ein Blumenstrauß.
Machen wir den Schönsten draus.
© Sophie Bachmann, 2021
Gewidmet:
Marc