Die Kathedrale
Manche bauen sich ein Haus
und bestellen einen Garten
oder Pizza und sie warten
dann auf den Pizzalieferanten
Das, was wir von Zuhause kannten
erzählen wir uns‘ren Bekannten
es bestimmt das Seelenstreben
so läuft es dann vorbei, das Leben
Den Sinn hab‘ ich noch nicht errungen
bisher ist es mir nicht gelungen
ein Haus zu bauen, einen Garten
ich werd‘ wohl noch
ein bisschen warten
Bis dahin baue ich im Geist
eine Kathedrale auf
Vielleicht findest Du das dreist
denn teuer ist er
dieser Kauf
Der Haufen an Gedankensteinen
Er kostet jeden Tag viel Zeit
Muss ich um die Verschwendung weinen?
Zerfrisst er mich vielleicht
der Neid?
Das Richtfest feierte ich schon
Ich erntete mir Lebenslohn
und hab‘ mir einen Traum erfüllt
das hat meinen Durst gestillt
Jetzt stehe ich im dunklen Gang
ich höre keinen einz’gen Klang
der Raum ist leer, hier gibt es nichts
mir steht die Sehnsucht im Gesicht
Warum hab’ ich sie gebaut?
Zementiert, geklopft, geschraubt
So viel Kraft hat das geraubt
Ich schreite jetzt den Gang entlang
plötzlich hör‘ ich einen Klang
ganz hinten, dort in einer Ecke
Ja, dort sitzt ein kleines Kind
ich gehe langsam zu ihm hin
Ich laufe leise, vorsichtig
damit ich es nicht gleich erschrecke
Das Kind,
es singt
ganz leis‘ ein Lied
es sitzt
auf einem Stuhl
und schnitzt
der Stuhl
er ist umringt mit Kerzen
und plötzlich
wird‘s mir warm im Herzen
Der Anblick ist so wunderbar
Ich frag’ es:
Was machst Du denn da?
Es spricht:
Das ist nur ein Zeitvertreib
Ich warte hier
bis Du mich findest
Ich bin das Kind in Deinem Innern
dachte schon Du kommst nicht mehr
hab’ gefroren und zwar sehr
Dann hab‘ ich Kerzen angezündet
und mir wurde wieder warm
und jetzt komm
und nimm mich endlich
auf Deinen Schoß
in deinen Arm
Ich träumte schon so viele Male
dass Du mich in die Arme nahmst
Jetzt fühl ich mich
bei Dir geborgen
Es ist so schön,
dass Du noch kamst!
© Sophie Bachmann, 2021