Der Vulkan

Heute Abend ist Theater,
Du und ich
und auch mein Vater,
wir stehen an der Abendkasse.

Wir sehen nicht
die heiße Masse,
wir sehen nicht
das rote Licht,
wir sehen nicht,
wie er aufbricht.

Wir sitzen dort,
vorn in der Loge,
der Saaldiener trägt eine Robe,
ich trag‘ heut‘ mein schönstes Kleid,
weit entfernt ist es,
das Leid.

Die Bühne füllt sich
und wir lachen,
genießen es, das schöne Stück,
unser Leben, das ist Glück.

Weit entfernt
von unser’m Tun,
können Menschen nicht mehr ruh’n.
Sie packen ein ihr Hab und Gut,
sind bedroht von heißer Glut.

Rennen los in großer Not,
bald sind schon die ersten tot.

Und wir beide trinken Sekt,
laufen über roten Samt,
träumen uns auf’s Standesamt,
unser Leben ist perfekt.

Und dann ist sie aus,
die Sause,
Vater fährt uns zwei nach Hause,
sicher landen wir im Hafen,
doch wir wollen noch nicht schlafen.

Du rückst noch ein Stückchen näher.
Du und ich, der Fernseher,
wir wählen aus die Tagesschau
und sie macht uns beide schlau.

Sagt uns
dort auf dieser Insel,
weit entfernt im Ozean,
ist die Erde aufgebrochen,
die Luft,
sie hat nach Tod gerochen,
Tausende, sie sind verbrannt
oder sie sind abgesoffen.

Danach kräht bei uns kein Hahn.
Wir haben genug getan.

Essen schließlich schon vegan,
Vaters Auto ist jetzt E,
in Sankt Moritz ist eh kein Schnee,
darum fahr’n wir da nicht hin,
doch das finden wir nicht schlimm.

Russland annektiert die Krim,
Irgendwo werden Kinder verkauft,
anderswo Raketen getestet.

Meine Freundin kriegt ein Kind,
zu dieser führt mich dann mein Lauf,
es wurde nach seinem Opa getauft.

Überall wird Luft verpestet,
doch das interessiert uns nicht.
Uns steht Freude im Gesicht.

Wir haben alles,
Haus und Heim.

Wir hören keine Kinder schreien,
die weit weg
um ihr Leben laufen
oder im Mittelmeer ersaufen.

Und wir beide werden müde,
uns belastet keine Bürde,
deshalb machen wir’s uns nett
und gehen heute früh zu Bett.

Weit entfernt sind Leid und Schreie,
weit entfernt sind Not und Tod.

Am Wahltag wählen wir dann rot,
auf die kann man immer setzen,
sichern sie doch Arbeitsplätze.

Und sie wissen,
wonach jede*r giert.
Sie wissen,
dass das Geld regiert.
Sie setzen die richtigen Prioritäten
und erhöhen die Diäten.

Mein Konto,
das wird immer voller.
Mein Leben,
es wird täglich toller.

Und dann geh‘ ich in den Garten,
setze mich in meine Laube,
neben mir pickt eine Taube,
die verscheuche ich im Nuh‘,
denn ich brauche meine Ruh‘.

Einmal schnell über’s Smartphone gewischt,
morgen hab‘ ich sie dann auf dem Tisch,
denn ich hasse langes Warten

besonders auf Theaterkarten.

© , 2022

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