Der Reigen des Schweigens
Es war dieser Tag,
sehr dunkel.
Und man(n) sagt es ja
im Volksmund:
Im Dunkeln
kann man sehr gut klüngeln,
sich vermummen und gut munkeln.
Und im Dunkeln nahm er mir,
ein kleines Stück von meiner Ehre
und er hoffte,
dass ich schweige,
dass ich niemals aufbegehre.
Er fasste mir an meinen Hintern
und er hat es gleich bereut,
denn er hat sich nicht gescheut,
mir zu sagen,
und damit
war er sich ein guter Lehrer
denn er sagte,
"Oh Verzeihung,
das war wohl ein dummer Fehler!"
Und er hoffte und er fragte:
"War doch alles nicht so schlimm?
Magst Du Dich jetzt bei den andern,
die an meiner Seite schritten
- und ich vermute, dass sie litten -
darf ich höflich darum bitten,
dass Du brav schweigst,
magst Dich einreihen
bitte kannst Du mir verzeihen?"
Und ich bemühte mich wohl so,
doch ich wurde nicht mehr froh,
die Wut,
sie wuchs so
und die Blöße,
wurde mächtig,
immer größer.
Es war nicht nur die eine Wut
über diesen einen Mann,
es wuchs rasch eine größ're Wut,
über alle in den Reihen.
Über all' seine Kumpanen,
die leise zogen ihre Bahnen.
Der Chef,
er ludt uns beide ein,
um uns beiden lieb zu sagen,
es wär' doch gut,
es wär' doch schön,
wenn wir beide uns vertragen.
Denn den Skandal
wollte er meiden,
den wollt' er wirklich
gar nicht haben.
Und später ludt mich
die Spitze der Führung
und ich sollte mal erzählen.
Sie waren ratlos,
die Gesichter:
Welchen Weg sollen sie wählen?
Und Euer Chef,
der Psychologe,
er legte mir freundlich
was Nettes an's Herz.
Und er meinte es gut und er meinte es ernst,
es ging ihm um mich, es war kein Scherz:
"Normalen Menschen passiert sowas nie,
ich rate Dir, los sei so klug
und mach mal eine Therapie."
Und ich, ich wollte ihm gern glauben
und so bin ich los gelaufen,
um mir selbst die Zeit zu rauben,
stundenlang beim Therapeuten.
Und so geht es vielen Leuten,
wenn sie glauben,
sie sind Schuld.
Denn das wolltet ihr mir sagen!
Doch die Schuld will ich nicht tragen.
Sehr schwer auf meiner Seele liegt,
was der Kumpel vom Chef schrieb:
"Du hast mich mehrfach schon umarmt
und meine Grenze überschritten.
Und das tat mir wirklich weh,
ich habe unter Dir gelitten."
Und ich hatte vor Euch Angst
und ich habe Euch geglaubt
und so nahm ich diese Schuld,
auf meine Seele,
auf mein Haupt.
Doch ich kann die gar nicht tragen
und darum mag ich Euch jetzt sagen:
Das war schlecht
und selbsterecht
und trotzdem sitzt ihr immernoch,
auf Eurem Thron,
auf Eurem Topf.
Und um Euch tanzt ein enger Kreis
und der schweigt und er ist leis'.
Denn die ganzen Freunde tanzen,
alle tanzen sie zusammen
und sie tanzen einen Reigen,
den des Flüsterns,
den des Schweigens.
Von der Macht sind sie besessen,
darum ist der Übergriff
sicher schon ganz bald vergessen.
Fiel es ihm schwer,
dem Sekretär,
seine Ohren zu verschließen?
Konnte er die Wählergunst
dieses Wahljahres genießen?
Und was denkt der Master wohl?
Hat der Master dieser Stadt,
sein Schweigen irgendwann bereut?
Oder hat er sich geschämt,
dass er sich mir gegenüber
niemals nie geäußert hat?
Und sein Kumpel,
dieser Sieger,
der sitzt jetzt im Bundestag.
Doch auch er hat nichts zu mir,
nicht ein Wort hat er gesagt.
Beide haben nie gesagt:
"Haben wir was nicht kapiert?
Was ist Dir denn da passiert?
Oh, das tut uns aber leid,
diese Sache war ja schräg,
hier hast Du
SOLIDARITÄT!"
Doch dieser Wert ist wohl für manche
dieser ehrwürdigen Partei
nur noch eine leere Hülle.
Und die Schweigenden,
die tanzen,
die gibt es in sehr großer Fülle.
Und ich muss jetzt nicht mehr schweigen,
wie viel tiefer kann ich steigen?
Mein Mann,
der ist schon lange weg
und jetzt fehlt mir auch der Job,
denn der Chef,
er tanzt auch gern,
tanzte mit Euch durch den Schnee
und wählte brav die SPD.
Ich frag' mich oft,
was war denn los?
Was Euch wohl geritten hat?
Ihr führt Euch auf,
als ist sie Eure,
diese schöne alte Stadt.
Und jetzt fällt der erste Schnee
und ihr schaut zum Fenster raus
und ihr freut Euch, jubelt täglich
und ihr lebt in Saus und Braus
und denkt Euch:
Uff! Es ging gut aus!
Zum Glück hat es ja heut' geschneit.
Zum Glück hat sie sich eingereiht.
Und so lassen wir sie leiden.
Und wir tanzen leise weiter.
Den Reigen unsers großen Schweigens.
© Sophie Bachmann, 2021